Die Zukunft der EU
- TPI

- Oct 28, 2021
- 4 min read
Umbruch, Zusammenbruch oder ein weiter so?
Von Caspar Kramer
Europa (EU) befindet sich in der größten Krise seit seiner Gründung. Alles wofür es steht, steht in Frage. Wenn Solidarität und die europäische Integration nicht mehr im Grundverständnis der Bürger dieser Union stehen und die Union selbst diese missachtet, ist dem „Projekt Europa“ die Grundlage seiner Existenz entzogen worden.
Das Votum der Britten am 23. Juni 2016 zum Austritt aus der EU war das erste für alle schmerzhaft sichtbare und erschreckende Symptom der Schwäche und des Misstrauens in die Europäische Union. Dabei schien seit dem Eintritt zehn neuer Mitgliedsstaaten 2004 (die EU zählt nun 28 Mitglieder) und der sehr starken europäischen Volkswirtschaft alles gut. Europa war, und ist teilweise auch heute noch, Vorbild in jeglicher Hinsicht. Es war die stärkste Volkswirtschaft bis 2010 und auch in Bezug auf die Verbreitung der europäischen Werte, nämlich Achtung der Menschenrechte und Demokratie, die ja mit dem amerikanischen Modell gleichzusetzen sind, lag Europa vor den USA als das Ideal (die USA hatten mit den Folgen des 2. Golfkriegs zu kämpfen). Doch die Union hat vor allem durch ihr Verhalten während der Flüchtlingskrise und durch Beziehungen zu Autokraten wie Erdogan oder der Führung Chinas in den Augen vieler ihre Werte teilweise verraten. Ihre Mitgliedsstaaten erleben teils nicht nur einen politischen Rechtsruck, sondern einige wandeln sich sogar zu autoritären Systemen.
Ein „Weiter so“ in Europa geht, so wird es beim Lesen der oben genannten Fakten erkennbar, nicht. In einer Welt voller Autokraten kann sich ein wirtschaftlich und politisch geschwächtes Europa nicht halten. Die steigende Abhängigkeit von China und andere Faktoren würden Europa als Standort sowohl für Produktion als auch für Firmensitze unattraktiv machen.
Politisch würde es aber noch kritischer werden. Der Rechtsruck in den Mitgliedsstaaten würde wahrscheinlich nicht abnehmen. Parteien wie die PIS in Polen, die FPÖ in Österreich und die AfD in Deutschland würden weiter gegen die Idee von Europa polarisieren und dadurch noch mehr Wähler für sich gewinnen. Selbst wenn solche populistischen Parteien nicht an Regierungen beteiligt sind, könnten diese die EU von innen heraus, aus dem EU Parlament, lähmen. Dieses Szenario ist aufgrund der schlechten Repräsentation der EU und dem geringen Kontakt zu den Bürgern für mich durchaus möglich.
Ein „Zusammenbruch“ und ein „Weiter so“ laufen also am Ende aufs gleiche Ergebnis hinaus: die Zerstörung der europäischen Idee, der Zukunft. Auch global würde dies Folgen mit sich ziehen. Autokraten würden sich gestärkt fühlen und Demokratie, Freiheit und Menschenrechte anhand des Beispiels des gescheiterten Europa weiter einschränken. Neue Bündnisse weltweit mit ähnlichen, für uns grundlegenden, demokratischen und liberalen Zielen würden aufgrund dieser Erfahrung eventuell nicht mehr zu Stande kommen. Als Beispiel für funktionierende Demokratie und Gleichheit würde Europa wegfallen. „Übrig“ bleiben dann (noch) die USA.
Als einzige Möglichkeit Europa zu retten, bleibt nun nur noch der Umbruch. Die EU muss sich von innen reformieren. Sie muss innerhalb wie außerhalb der EU stärker auftreten und vor allem für ihre Ideale eintreten. Am wichtigsten ist aber, dass sie in Europa präsent ist und sich durch die knapp 447 Millionen Europäer gestalten lässt.
Die EU muss glaubwürdiger werden- von Innen wie für Außen. Die Glaubwürdigkeit innerhalb der EU wieder herzustellen ist durch einige Gesetzesänderungen möglich. Verstöße von Mitgliedsstaaten gegen die europäische Verfassung müssen mit Streichung von EU Geldern und sonst eventuellem Ausschluss aus der EU (Schengenabkommen,..) konsequent und viel härter, als es jetzt der Fall ist, geahndet werden. Um Sanktionen zu beschließen, müsste man außerdem ein unabhängiges Gremium, eine Art Gericht, bilden. Damit könnte man die Deckung unterschiedlicher Staaten im Europäischen Rat verhindern (Bsp.: Polen und Ungarn). So könnte man Mitgliedsstaaten, welche sich weigern, EU Beschlüsse umzusetzen, stärker abstrafen und dies könnte auch als Präventionsmaßnahmen genutzt werden. Probleme wie die Flüchtlingskrise könnten damit einfacher gelöst werden, da Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen zwar immer noch verweigern können, aber weitaus größerem Druck ausgesetzt wären. In diesem Fall würden die betroffenen Länder wahrscheinlich die Flüchtlingsaufnahme nicht komplett verweigern, da diese meist ehemaligen „Ostblock“ Staaten besonders von den Geldern der EU abhängig sind (außerdem muss es eine Kontrolle der Gelder in Bezug zur Verwendung geben, um Veruntreuungen zu verhindern).
Nach Außen muss sich die EU neu formieren. Sie darf nicht mehr nur eine Union sein, welche man demütigen kann ohne Konsequenzen zu spüren. Alleine die Reaktion der EU auf die „Sofagate Affäre“ hat dies gezeigt. Die EU muss für ihre Werte einstehen, auch wenn dies wirtschaftlich gesehen eventuellen Verlust bedeutet. Wirtschaftlicher Verlust ist weitaus ertragbarer als der Verlust des Vertrauens einiger Teile der Bevölkerung. Damit sich die EU global präsentieren kann und sich bzw. andere auch selbst mit eigenen Truppen schützen kann, sollte man auch über eine eigene europäische Armee nachdenken. Diese würde der EU auch ausserhalb der NATO Spielraum für Operationen innerhalb und außerhalb der EU geben. Auch würde diese den Kontakt zwischen EU-Bürgern verstärken. Die EU muss bei ihrer Außenpolitik, wie eben schon angesprochen, außerdem auf die Einhaltung von Menschenrechten achten, sei es bei beim Handel mit nicht EU-Staaten oder dem Grenzschutz der Außengrenze durch die Grenzschutzagentur Frontex.
Am wichtigsten ist aber, dass sich die EU ihren Bürgern nähert. Nur dadurch kann man ihnen die „Angst“ vor ihr nehmen. Dies kann entweder durch mehr Direkte Demokratie oder mehr und vor allem populäreren Foren getan werden. Ein gutes Beispiel für ein Forum ist die Konferenz zur Zukunft Europas. Dieses wurde eröffnet zum Austausch von EU Bürgerrinnen über die Zukunft Europas. Man sollte mehr solcher Konferenzen veranstalten und diese vor allem „dem Bürger näher bringen“, d.h. mehr dafür werben. Auch eine Art Bürgerrat von EU Bürgern ist meiner Meinung nach gut vorstellbar und würde das Vertrauen der EU Bevölkerung stärken. Nur durch eine solche Einbindung kann den Bürgern der EU die „Angst“ vor der EU genommen werden.
Die EU ist gerade in ihrer größten Krise, ihre Lage ist aber nicht aussichtslos. Wenn sie sich bemüht und vor allem das Misstrauen der eigenen Bevölkerung in sie stärker bekämpft, hat sie die Chance zu bestehen und sogar zu ihrer alten Stärke zurück zu finden.
Comments